HIP-TECHNIK

HIP-Technik

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Allgemein

Der Begriff HIP-Technik kommt aus dem Englischen Historical Informed Practice und beschreibt die Verwendung historischer Spieltechniken in einer aktuellen Aufführung. Dabei umfasst sie  nicht nur im engeren Sinn die „Bühnengestik“, wie sie seit dem Aufkommen der Oper um 1600 bis zu den Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts europaweit in Theater und Oper üblich war, sondern auch Bereiche wie Kostüm (Abb. 12 – 14), Maske (Abb. 7), Licht (Abb. 16), technische Ausstattung (Abb. 5) und Bühnenbild (Abb. 6, 9, 10). Die HIP-Technik hat sich mit zeitlicher Verzögerung in den letzten 15 – 20 Jahren als bühnenpraktische Antwort auf die schon länger florierende „Historisch-Informierte Aufführungspraxis“ im Bereich der sogenannten „Alten Musik“ zu einer lebendigen, neuen Theater-Tradition entwickelt. Dabei geht es nicht um die historisch-museale Rekonstruktion einer imaginären „Uraufführung“ des Werkes, sondern um die Suche nach einer seit hundert Jahren verschütteten Technik, die im Zusammenklang mit Musik und Text zu einer besonderen Stimmigkeit der Aufführung führen soll.

 

Quellen

An Quellen stehen einem in der Arbeit aus den verschiedenen Jahrhunderten eine Vielzahl an Möglichkeiten offen. Zunächst sind da die Schauspiel-, Opern- und Prediger-Traktate der Zeit. Für das 18. Jahrhundert besonders wichtig sind etwa Franz Langs Dissertatio de Actione Scenica von 1727 (Abb. 1) oder auch Gilbert Austins Chironomia von 1808 (Abb. 2), 1818  ins Deutsche übertragen und schon in der Tradition des ‚Sturm und Drang‘. Letztes Buch enthält auch eine von Austin entwickelte Notation für Gesten, die unter und über dem Text notiert wird und es ermöglicht, nicht nur einzelne Gesten zu rekonstruieren, sondern auch ihren Bewegungsverlauf, ihr Timing und ihre Verknüpfung mit dem Text nachzuvollziehen. Darüber hinaus haben sich eine ganze Reihe von Souffleur-Bücher überliefert, in denen teilweise auch die Auftritte und die Bühnenaktionen notiert wurden. Eine weitere Quelle sind auch Briefe, die zwischen Librettisten, Komponisten und SängerInnen zirkulierten, mit dezidierten Fragen und Antworten zu szenischen Lösungen. Nicht zu überschätzen sind auch die Informationen, die sich in den wenigen erhaltenen historischen Theatern finden lassen, wie etwa dem Ekhof-Theater von 1683 im Gothaer Schloss (Abb. 5, 6, 8). In diesen finden sich in situ noch teilweise originale Bühnenmaschinerien, Bühnenbilder und Beleuchtungstechnik. Über den engen Korpus von rein theatergeschichtlichen Quellen hinaus stellt vor allem die Bildende Kunst ein unerschöpfliches Repertoire an Inspiration dar. Schon die Schauspieltheoretiker forderten ihre SchülerInnen auf, von den Malern und Bildhauern zu lernen und sich ihre Werke in den Sammlungen, Kirchen, Gärten und Schlössern anzusehen, diese zu studieren und nachzuahmen. So hat sich ein großer Teil des Gestenvokabulars vor allem in Gemälden (Abb. 3) und Statuen (Abb. 4) konserviert. Da umgekehrt Traktate für Maler und Bildhauer immer wieder diese dazu auffordern, ins Theater zu gehen, um die SängerInnen und SchauspielerInnen als ideale Modelle für ihre Figuren zu studieren, können wir heutzutage von einer sehr engen Verflechtung der performativen mit den Bildenden Künsten ausgehen.

 

Praxis

In der heutigen Theaterpraxis ist die HIP-Technik vielfach einsetzbar. So können etwa in historischen Theatern sehr stimmige Inszenierungen ganz im Stile der Uraufführungszeit geschaffen werden. Weitaus interessanter ist allerdings ihre Verwendung im Rahmen des modernen Regietheaters, in dem die HIP-Technik als Kontrast, Zitat, ironischer Kommentar oder als zusätzliche dramaturgische Ebene einbezogen werden kann (Abb. 16). Ausserdem lassen sich alle möglichen Mischformen finden, Barockgestik etwa kann Videokunst gegenüber gestellt, zeitgenössisches Tanztheater mit Barocktanz verbunden werden. Als besonders bereichernd, ähnlich wie die „Historisch-informierte Aufführungspraxis“ im Musizieren, zeigt sich, dass der Text, die Musik und die Gestik in Opern vor allem des 17. und 18. Jahrhunderts so eng miteinander geknüpft waren, dass erst in der Gleichzeitigkeit aller Parameter einer Inszenierung eine Stimmigkeit dieser oftmals fremd erscheinenden Theaterform entsteht und besonders lebendige Aufführungen ermöglicht. Dies bedeutet aber in keinem Fall eine Einschränkung der kreativen Freiheit heutiger Theaterpraxis, HIP versteht sich als ein weiterer, praxisorientierter Theateransatz. Für die Verwendung der HIP-Technik ist sehr viel Theatererfahrung und -praxis notwendig, da jede Regie zu ihrer eigenen Lösung kommen und sich von der Unzahl verschiedenster Quellen inspirieren lassen muss. Für mich ist daher auch der (Hochschul-)Unterricht besonders wichtig, da hier die Technik immer wieder ausprobiert und auf ihre ‚Funktion‘ hin überprüft werden kann. Es entsteht im Laufe der Jahre eine sehr persönliche Handschrift.

Opern- und Musiktheaterproduktionen

Am besten kommt die HIP-Technik zum Einsatz in Opern- und Musiktheaterproduktionen. Diese reichen von Inszenierungen mit ausschließlich historischen Techniken, etwa der Rekonstruktion der Beleuchtungssituation mit echtem Kerzenlicht, bis hin zu sehr freien Theaterformen, Crossover und Pasticci, die es in dieser Form gar nicht im Barock gegeben hat. Besonders spannend sind hierbei Kreuzungen zwischen sehr kontrastiven Mitteln etwa der Videokunst, zeitgenössischer Musik, Tanz und Bühnensituationen. Auch die zeitgenössische Musik lässt sich sehr gut mit „Alter Musik“ zu spannungsreichen Aufführungen verbinden. Ein Beispiel hierfür ist unser Projekt der HEROINNEN am Theater Heidelberg 2015, das zeitgenössische Videokunst, römische Kantaten um 1700, Barockgestik und moderne Kompositionen zusammenbrachte und sowohl aus einer historischen, wie gegenwärtigen Position heraus Fragen nach Weiblichkeit, Unterdrückung und Befreiung nachging. Im kleineren Rahmen können auch Konzerte, erweitert etwa um Barocktanz oder Gesang in historischer Bühnengestik, zu besonderen Erlebnissen werden.

Workshops, Hochschulunterricht und Masterclasses

Die HIP-Technik kommt aber nicht nur im Rahmen von Inszenierungen zum Einsatz, sondern kann auch in Workshops, im szenischen Unterricht der Gesangsausbildung und in Masterclasses an Akademien und Hochschulen vermittelt werden. Für weitere Informationen zu zukünftigen Unterrichtsmöglichkeiten siehe hier. Auch Privatunterricht, Seminare und Fortbildungen sind möglich. Bitte fragen Sie bei Interesse gerne an.